Frühfernsehen und die pädiatrische Forschung

Als der Kinderpsychiater Dimitri Christiakis 2004 mit seinen Forschungsergebnissen aufwartete, wonach frühes Fernsehen im Alter zwischen eins und drei das Risiko für die Entwicklung einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) im Alter von sieben Jahren um 28 Prozent erhöhe, gab es heftigen Widerspruch.21 Seine Forscherkollegen Tara Stevens und Miriam Mulsow, die mit einer Untersuchung Fünfjähriger konterten, widersprachen.

Sie konnten keinen signifikanten Zusammenhang nachweisen. Christiakis antwortete in einem weiteren Beitrag der Zeitschrift Pediatrics, um auf den wichtigen Unterschied in der Hirnentwicklung von Kindern zwischen eins und drei auf der einen und Fünfjährigen auf der anderen Seite hinzuweisen. Miller, Marks & Miller bestätigen 2006 die Ergebnisse von Christiakis, obwohl dieser gar nicht korrekt AD(H)S untersucht habe, sondern allgemein Konzentrationsstörungen. Sie werfen jedoch gleichzeitig die Frage auf, ob ADHS-Symptome nun Folge des frühen Fernsehkonsums sind oder auch mit eine Ursache, weil anstrengende Kinder öfters vor dem Fernsehgerät „geparkt“ würden. Auf jeden Fall ist von einer Wechselwirkung auszugehen, wenn es um die Ausprägung von Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung geht. Inzwischen widmen sich Ärztekongresse auch der Frage nach einem erhöhten Risiko für Computersucht bei ADHS-diagnostizierten Kindern und Erwachsenen, wofür bereits erste statistische Hinweise vorliegen.24 In der Medizin spricht man in diesem Zusammenhang von Komorbidität.

Angesichts solcher Forschungsergebnisse wurden führende Medienpädagogen sensibilisiert. So ist etwa Prof. Patricia Greenfield vom Digital Media Centre in Los Angeles im Laufe ihrer Arbeit zunehmend skeptischer geworden in Bezug auf Bildschirmmedien und die Entwicklung von (Klein-)Kindern.25 Sie richtete ihre Arbeit dementsprechend neu aus und nimmt nicht nur kritischer Stellung als früher, sondern ändert auch Arbeitskonzepte ihrer Einrichtung. Allerdings greifen auch hier die üblich gewordenen Strategien, die modernen Medien als Heilsbringer oder Heilmittel für genau die Zielgruppen auszugeben, deren Konzentration besonders gebunden werden soll.

aus: Kapitel 2 „Kindsentwicklung als Leitfaden für die Medienerziehung“ von Schiffer, Sabine (2013): Bildung und Medien. Was Eltern den Pädagogen wissen müssen.